İki tutam saç: Dersim’in kayıp kızları / Zwei Büschel Haare – Die verschollenen Töchter von Dersim

Dokumentarfilm mit deutschen Untertiteln und Gespräch mit Deniz Karakaş

Termin: 08.01.2020, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)

© İki Tutam Saç – Dersim’in Kayıp Kızları

Die Gebirgsregion Dersim (seit 1936 offiziell Tunceli) in Ostanatolien, ist ein Zentrum von Zaza- aber auch Kurmanci sprechenden Aleviten. Vor dem Völkermord von 1915 hatte Dersim auch einen großen armenischen Bevölkerungsanteil. Bereits in spätosmanischer Zeit unternahm die Zentralregierung wiederholt militärische Kampagnen zur Unterwerfung der Region. In den 1930er -Jahren war die Bevölkerung von Dersim massiven Zwangsmaßnahmen zur Türkisierung und Sesshaftmachung ausgesetzt, die 1937-38 in massenhaften Zwangsumsiedlungen und Massakern und gipfelten. Dabei wurden auch Hunderte Mädchen verschleppt und in türkisch-sunnitische Familien von Militärangehörigen gegeben.

Wir zeigen den Dokumentarfilm von Kazım und Nezahat Gündoǧan aus 2010, der am Beispiel zweier Familien dem Schicksal der verschollenen Mädchen von Dersim nachgeht: Die beiden zwangsadoptierten Mädchen – Cousinen – der ersten Familie, finden schließlich ihre Familie wieder, die eine nach zehn, die andere erst nach 65 Jahren. Die alten Frauen berichten, wie sie als Kinder Massaker und Vertreibung erlebt haben, von ihrem Leben in ihren neuen Familien, ihrer Sehnsucht und der Suche nach Verwandten. Die zweite Familie hat ihre verschleppten Töchter nie wieder gefunden. Angehörige verschiedener Generationen beschreiben die vergebliche Suche und ihren Umgang mit dem Verlust.

Im Anschluss an die Filmvorführung stellt die Pädagogin und Mitbegründerin des „Dersim 1937-38 Oral History Project“ Deniz Karakaş das Projekt vor. Seit 2009 wurden die letzten noch lebenden Zeitzeugen des Dersim-Massakers interviewt, um ihre Erlebnisse zu dokumentieren und ein oral history Archiv zu Dersim zu schaffen.

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Mehmets Buch: Berichte von Soldaten aus dem Südosten

Nadire Mater (Istanbul), Lesung und Diskussion zum Buch

Termin: 11.12.2019, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)

Seit Jahrzehnten führt die türkische Armee einen unerklärten Krieg im Innern des eigenen Landes, in den mehrheitlich kurdisch besiedelten südöstlichen Provinzen. Die 1990er Jahre waren geprägt durch die massive Ausweitung des Krieges. Am Ende dieses gewaltsamen Jahrzehnts veröffentlichte die Journalistin Nadire Mater „Mehmets Buch. Türkische Soldaten berichten über ihren Kampf gegen kurdische Guerillas“. „Mehmetçik“, kleine Mehmets, so werden die einfachen Soldaten genannt. Maters Buch versammelt 42 Berichte von türkischen Soldaten verschiedener regionaler und sozialer Herkunft und politischer Einstellung. Die Berichte bleiben unkommentiert und sprechen für sich. Sie machen deutlich, welche Verwüstung der Krieg nicht nur in den betroffenen Provinzen, sondern in der gesamten Gesellschaft anrichtet. Damit rührte „Mehmets Buch“ an ein Tabu, erfuhr aber eine enorme Resonanz. Innerhalb weniger Monate erschienen mehrere Auflagen, bis die 4. Auflage verboten und konfisziert wurde. Gegen Nadire Mater wurde Anklage wegen Verunglimpfung der Armee erhoben. Die Veranstaltung beginnt mit einer Lesung von Textauszügen auf Deutsch, anschließend antwortet Nadire Mater auf Fragen zum Buch auf Englisch.

Referentin: Nadire Mater hat zunächst Sozialarbeit studiert und in diesem Feld gearbeitet, seit 1981 ist sie als Journalistin für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig. 1993 war sie eine der Gründerinnen des unabhängigen Agenturdienstes Interpres Service (IPS). 2000 gründete sie das unabhängige Internetnachrichtenportal bianet.org, das 2013 im Zuge der Berichterstattung zu den Gezi-Protesten vermehrt Aufmerksamkeit erfuhr und im selben Jahr von „Reporter ohne Grenzen“ mit dem „Press Freedom Award“ ausgezeichnet wurde. Auch ihre Bücher wurden mit nationalen und internationalen Preisen bedacht, die ihr Engagement für Pressefreiheit und Menschenrechte würdigen. Landesweite und internationale Bekanntheit erlangte Mater 1999 mit ihrem Buch „Mehmedin Kitabı. Güneydoǧu’da Savaşmış Askerler Anlatıyor“ (Übersetzungen ins Deutsche, Englische, Italienische, Griechische, Finnische). 2009 erschien der Band „Sokak Güzeldir. 68’de Ne Oldu?“ (Die Straße ist schön. Was geschah 1968?).

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Gewaltverbrechen parastaatlicher Milizen

Vortrag von Dr. Corry Guttstadt (Hamburg)

Termin: 27.11.2019, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)

Im November 1996 brachte ein Verkehrsunfall in der türkischen Kleinstadt Susurluk die Verflechtung zwischen mafiösen Verbrecherbanden der MHP und dem türkischen Staat in die internationalen Schlagzeilen. Diesen Strukturen – in der Türkei als „tiefer Staat“ bezeichnet –  werden zahlreiche Gewalttaten zugeschrieben, darunter die gezielte Ermordung und das „Verschwindenlassen“ zahlreicher kurdischer Oppositioneller. Eine zentrale Rolle spielte dabei die JITEM, der informelle Geheimdienst der türkischen Gendarmerie. Bei vielen der Opfer handelte es sich um exponierte kurdische Menschenrechtsaktivisten und Intellektuelle. Der Vortrag beleuchtet nicht nur die damaligen Verbrechen, sondern fragt auch, was aus den Ermittlungen und Strafverfahren gegen Angehörige dieser Strukturen geworden ist, die in den ersten Regierungsjahren der AKP geführt wurden und dieser die Unterstützung auch liberaler und kurdischer Kreise einbrachte.

Referentin: Corry Guttstadt studierte Turkologie, Geschichte und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg, seit ihrer Promotion in 2009 war sie zunächst Projektmanagerin am Anne-Frank-Zentrum in Berlin, dann Arbeit als selbständige Autorin, Übersetzerin und Wissenschaftlerin und seit Juni dieses Jahres Mitarbeiterin beim Verein Aktives Museum in Berlin sowie Co-Geschäftsführerin des Türkei-Europa-Zentrum. Publikationen (Auswahl): Die Türkei, die Juden und der Holocaust (dt. 2008, türk. 2012 u. engl. 2013), Wege ohne Heimkehr – Die Armenier, der Erste Weltkrieg und die Folgen (2014), Bystanders, rescuers or perpetrators? The Neutrals and the Shoah, (mit Thomas Lutz, Bernd Rother and Yessica San Roman  Hg.) IHRA series, vol. 2, 2016; MUESTROS DEZAPARESIDOS – Chemins et destins des Judéo-Espagnols de France – 19.. /1945, (mit Henriette Asseo, Annie Cohen, Alain de Toledo, Xavier Rotea (eds.) 2019.

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Filmvorführung „Zenne Dancer“ (Türkei 2012)

Termin: 13.11.2019, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)

Am 13. November 2019 setzen wir unsere TEZ-Vortragsreihe „Gewaltstrukturen, Militär und Gesellschaft in der Türkei“ mit einer Filmvorführung fort. „Zenne Dancer“ beruht auf einer wahren Geschichte und ist ein mit zahlreichen Preisen gekrönter Film der Regisseuere  Caner Alper und Mehmet Binay.

Einführung zum Film: Dr. Hülya Çelik (Universität Hamburg)

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The Ottoman Colonization of the Mountains, 1876-1909

Vortrag von Dr. Owen Miller (Ankara)

Termin: 30.10.2019, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)

darulislam

The presentation shows that the Hamidian massacres of the 1890s could be seen as part and parcel of a larger global phenomenon: the efforts of the Ottoman State to control its upland spaces. In the Ottoman Empire, this violence was directed against mountain communities from the Balkans to Yemen, from Dersim to Sinjar. If some of those stories are more widely told, they are rarely connected. The 19th century was a period of almost continual ’small wars‘ in the upland areas. In the nineteenth-century, lowland states, like the Ottoman Empire, gained the technological wherewithal to incorporate the upland areas of the world. This expansion of state power – variously termed centralization, internal colonization, or conquest – would contribute to dramatic transformations of governance, ideas of difference (race, ethnicity, national identity), religion, economy, class and society, and the environment. The Ottoman internal colonization of moun-tainous areas was facilitated by the advance-ment of technologies of the industrial age: steam, telegraph, and rifles. These processes can be seen around the world, from the French scorched-earth campaigns into the Atlas Mountains, the Russian conquest of the Caucasus, and the British efforts to control the ‘tribal’ areas on the frontiers of its Empire.

Referent: Owen Miller is an assistant professor of History at Bilkent University in Ankara, Turkey. He received his Ph.D. in International and Global History from Columbia University in 2015. Before joining the Bilkent faculty, Dr. Miller taught at Columbia, Cornell University, Pratt, Emerson and Union Colleges. His primary fields of research are Ottoman-US relations, lowland-upland relations and global histories of mis-sionaries. He is currently working on a mono-graph on a US missionary family in Hawaii, the Ottoman Empire and the US South. He has published in the Muslim World, Journal of the Ottoman and Turkish Studies Association, and Études arméniennes contemporaines.

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Gewaltstrukturen, Militär und Gesellschaft vom späten Osmanischen Reich bis in die gegenwärtige Türkei (Einführung in die Vortragsreihe)

Vortrag von Vertr.-Prof. Dr. Elke Hartmann

Termin: 23.10.2019, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)

Das Thema der TEZ Vortragsreihe im Wintersemester 2019/20 behandelt das Themenfeld von „Gewaltstrukturen, Militär und Gesellschaft in der Türkei“. Der Eröffnungsvortrag gibt zunächst einen historischen Überblick über die lange Folge von Militärputschen und militärischen Interventionen in der Türkei, die bis in die spätosmanische Zeit zurückreicht. Anschließend werden die tieferen Hintergründe der besonderen Präsenz des Militärs in Politik und Gesellschaft des späten Osmanischen Reiches und der Türkischen Republik diskutiert. Hier werden insbesondere die Zusammenhänge zwischen den osmanischen Modernisierungsbemühungen des 19. Jahrhunderts und der veränderten Rolle des Militärs einerseits sowie der bis heute nachwirkenden Gewaltgeschichte dieser Zeit andererseits in den Blick genommen: Das Militär agierte hier als Ausgangspunkt der Reform und Vorreiter der Moderne. Mit der Ausbildung einer neuen Generation von Offizieren wurden aus den Reihen des Militärs dann auch politische Visionen formuliert. Zugleich mussten die Strukturreformen in den osmanischen Provinzen mit Hilfe des Militärs durchgesetzt werden. Die Militäreinsätze wurden so zum Ausgangspunkt einer modernen Gewaltpolitik, die die spätosmanische Geschichte ebenso durchzog wie die Entwicklung der türkischen Republik. Abschließend werden die gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung von der Militarisierung der Gesellschaft bis zur Ausbildung paramilitärischer Verbände und anderer Gewaltstrukturen erörtert.

Referentin: Elke Hartmann studierte Geschichte und Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Nach Lehr- und Forschungstätigkeiten u.a. an der FU Berlin, der LMU München, der Katholischen Universität Budapest und der Universität Bamberg ist sie seit April 2019 Vertretungsprofessorin für Turkologie an der Universität Hamburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Sozial-, Kultur- und Militärgeschichte des späten Osmanischen Reiches, Massengewalt in der Moderne und Selbstzeugnisforschung. Wichtige Publikationen: Die Reichweite des Staates. Wehrpflicht und moderne Staatlichkeit im Osmanischen Reich 1869-1910, Paderborn (Ferdinand Schöningh) 2016, Armenisches Leben im Osmanischen Reich (auf Ungarisch), Budapest (L’Harmattan) 2020 (im Erscheinen)

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TEZ-Vortragsreihe Wintersemester 2019/20

Gewaltstrukturen, Militär und Gesellschaft in der Türkei

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Vom Mullah zum Pastor: Die Protestantisierung und De-Osmanisierung des Mehmed Şükri Efendi alias Johannes Awetaranian (1861-1919)

Vortrag von Dr. Gülfem Alıcı (Tübingen) im Rahmen der Vortragsreihe „Konvertiten, Renegaten, Neuosmanen im Osmanischen Reich“

Termin: 10.07.2019, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)


Quelle: Awetaranian, J.: Geschichte eines Muhammedaners, der Christ wurde, Großlichterfelde-West: Deutsche Orient-Mission 1905

Zu den interessantesten Zeugnissen spätosmanischer Konversionsverläufe gehört zweifellos der Lebensweg des Mehmed Şükri Efendi, eines osmanischen Mullahs aus Erzurum, der nach seiner Begegnung mit einer türkischen Bibelübersetzung zum Protestantismus konvertierte. Nach seiner Taufe in 1885 nahm Mehmed Şükri den Namen Johannes Awetaranian („Sohn des Evangeliums“) an, ließ sich zum evangelischen Missionar und Pastor ausbilden, um im Dienste des Schwedischen Missionsbundes seine Missionstätigkeit im Kaukasus und in Ostturkestan fortzusetzen. 1899 trat er der von Johannes Lepsius (gest. 1926) gegründeten „Deutschen Orient-Mission“ (DOM) bei. Als einer der loyalsten und engsten Mitarbeiter von Lepsius leitete Awetaranian bis zu seinem Tode die „Muhammedaner-Mission“ der DOM in Bulgarien. Der Vortrag erschließt den Prozess und den Grad der Protestantisierung und De-Osmanisierung des ehemaligen islamischen Geistlichen, der sich nach seinem Glaubens- und Loyalitätswechsel mit unermüdlichem Eifer der Verkündung des Evangeliums und der Verbreitung des europ. Protestantismus unter Muslimen verschrieb. Auch werden die Reaktionen muslimischer und europäischer Zeitgenossen auf die „neue“ Identität Awetaranians einer genaueren Betrachtung unterzogen.

Referentin: Gülfem Alıcı studierte Islamwissenschaft, Turkologie u. Religionswissenschaft an der Universität Hamburg und promovierte 2016 im Fach Islamwissenschaft. Seit 2017 ist sie als wiss. Mitarbeiterin (Postdoc) und Habilitandin in der interdisz. Nachwuchsforschergruppe „Religion und Rationalität: Glaube und Vernunft im Leben und Denken von Muslimen, Christen und Juden in pluralen Gesellschaften“ an der Eberhard Karls Universität Tübingen tätig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die intellektuelle Geschichte der islamischen Welt, Manuskriptforschung, islam. Ordensmystik, religiöse Bewegungen, Wissenstransfer und -transformation. Gegenwärtig forscht und arbeitet sie zu Fātiḥa-Interpretationen von Sufis in der osmanischen Periode und zu Konvertiten im späten 19. Jh.  Publikationen (Auswahl): Seelenlehre und Novizenführung: Qāsim al-Ḫānīs Werk as-Sayr wa-s-sulūk ilā malik al-mulūk und die Seelenerziehung in der osmanisch-arabischen Mystik des 17. Jh. (Berlin: Klaus Schwarz/De Gruyter 2019); „Menāḳıb-Heiligenbio-grafien/Menāḳıb-Hagiographies“, in: Janina Karolewski & Yavuz Köse (Hrsg.): Ausstellungskatalog „Wunder der erschaffenen Dinge: Osmanische Manuskripte in Hamburger Sammlungen“/„Wonders of Creation: Ottoman Manuscripts from Hamburg Collections“  (=manuscript cultures 9, 2016).

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Ein moldawischer Fürst: Dimitrie Cantemir (1672-1722) im Dienste des Sultans und Zaren

Vortrag von Alptuğ Güney, M.A. (Hamburg) im Rahmen der Vortragsreihe „Konvertiten, Renegaten, Neuosmanen im Osmanischen Reich“

Termin: 26.06.2019, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)


© The Fine Arts Museum of Rouen

Dimitrie Cantemir, Sohn des damaligen moldawischen Fürsten, begab sich 1688 als „Faustpfand“ nach Istanbul. Da sein Vater zum Staathalter von Moldawien ernannt wurde, sollte er mit seinem Bruder als Garantie und Druckmittel für die Loyalität seines Vaters in Istanbul residieren. Er wurde in der osmanischen Palastschule und an der Akademie des griechisch-orthodoxen Patriachats ausgebildet und verbrachte die stürmischen Jahre des Großen Türkenkriegs (1683-1699/1700) und der unruhigen Nachkriegszeit (1700-1711) in der osmanischen Hauptstadt. Als ein geschätzter Gelehrter und Meister der osmanischen Musik trat er der Istanbuler Elite bei und konnte auf diese Weise den Wandel in der osmanischen Politik und Gedankenwelt aus unmittelbarer Nähe beobachten. Als sich 1710 die Gefahr eines Kriegs zwischen den Osmanen und Russen abzeichnete, wurde Cantemir durch die persönliche Entscheidung des Krim-Khans und des osmanischen Sultans zum Fürst von Moldawien ernannt – als eine höchst zuverlässige Person gegen die russisch-orthodoxe Propaganda auf dem Balkan. Als dann Cantemir während des Prut-Krieges (1711) auf die russische Seite wechselte, galt das als einer der unerwartetesten Hochverrate in der osmanischen Geschichte. Nachdem die Russen den Krieg verloren hatten, begannen für Cantemir seine Exiljahre in Russland. Von dieser Zeit an stand er im Dienste des Zaren Peter I. (1672-1725) als Geheimrat. Die Präsentation stützt sich auf Cantemirs Opus Magnum „Historia incrementorum atque decrementorum Aulae Othomanicae“ (Die Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachsen und Abnehmen) (1716) und auf die Archivalien aus dem Osmanischen Staatsarchiv und setzt sich mit Cantemirs Selbstdarstellung auseinander und diskutiert die Gründe und das Ausmaß seiner „Osmanisierung“ anhand von Beispielen aus seinem Leben und Werk. Am Beispiel der Beziehung zwischen der Cantemir-Familie und der Hohen Pforte wird auch das Loyalitätsverständnis der Osmanen unter die Lupe genommen.

Referent: Alptuğ Güney studierte Turkologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er war zwischen 2014 und 2016 als Lektor für Osmanisch und spätosmanische Geschichte an der Zaim-Universität in Istanbul tätig. Seit Juni 2017 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Digital-Humanities Projekt HerCoRe an der Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsfeldern zählen: Politisch-kulturelle Geschichte des osmanischen Reiches, Militärgeschichte, Wissenschaftsgeschichte. Publikationen (Auswahl): „Charles XII at the Centre of Ottoman Diplomacy“, Charles XII Warrior King, ed. J. B. Hattendorf, Zutphen 2018, S. 238-257 (mit B. Arı), „Berlin-Bâb-ı Âli-Bakü Hattında İttihatçı Emperyalizmi’nin Son Seferi: Sadrazam Talât Paşa’nın Almanya Seyahati, Eylül 1918“, Toplumsal Tarih Özel Sayısı “Cihan Harbi’nin Sonu, Devrimler ve Tarih Yazımı”, Hrsg. Erol Ülker ve Sinan Yıldırmaz, Nr. 309/2019, S. 28-35.

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Verräter, Held, Vermittler: Der Topos „Renegat“ im Habsburgerreich

Vortrag von Dr. Heléna Tóth (Bamberg) im Rahmen der Vortragsreihe „Konvertiten, Renegaten, Neuosmanen im Osmanischen Reich“

Termin: 05.06.2019, 18.00 Uhr c.t
Ort: Hörsaal 221 (AAI, Edmund-Siemers-Allee 1, Ost)

© Wikimedia Commons

Der „Renegat“, ein zum Islam konvertierter Christ, war in der Öffentlichkeit des Habsburgerreiches sowohl aus der Literatur als auch aus den Nachrichten bekannt. Die Biographie von Mihajlo Latas, der nach seiner Ausbildung als Kadett in der Habsburger Armee unter dem Namen Omer Pascha im Osmanischen Reich eine militärische und politische Karriere machte, oder die kollektive Biographie von politischen Flüchtlingen nach den Revolutionen von 1848, die im osmanischen Exil zum Islam übertraten, wurden in Zeitungen, Memoiren und in der Belletristik oft behandelt. Anhand von Zeitungsberichten und Flüchtlingsmemoiren geht der Vortrag den Konturen der wechselnden Konnotationen des Topos Renegat nach. Ziel ist das Spektrum der Deutungen sowohl in der Selbstbeschreibung von Renegaten als auch in ihrer öffentlichen Wahrnehmung aufzuzeigen.

Referentin: Heléna Tóth studierte Geschichte an der Harvard University in Boston. Nach ihrer Promotion unterrichtete sie an der Boston University. Zwischen 2009 und 2014 war sie Postdoctoral Research Fellow an der LMU, München, und seitdem arbeitet sie als akademische Rätin a.Z. am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Otto-Friedrich-Universität, Bamberg. Zu ihren Forschungsfeldern zählen: die Geschichte des politischen Exils, transatlantische Revolutionskulturen im 19. Jahrhundert, die Kulturgeschichte des Staatssozialismus und die Geschichte der Übergangsrituale in der DDR und Ungarn. Publikationen (Auswahl): An Exiled Generation. German and Hungarian Political Exiles, 1848-1871 (New York: Cambridge University Press, 2014), Transatlantic Revolutionary Cultures, 1789-1861, edited with Charlotte Lerg (Boston: Brill, 2017); Cityscapes in History: Creating the Urban Experience (Burlington: Ashgate, 2014), zahlreiche Buchkapitel und Artikel.

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